Die Wahrscheinlichkeit aber, dass unter zehn Würfen sich Rot und Schwarz
regelmäßig ablösen, ist hingegen sehr gering. Folgen von mindestens
zwei Würfen gleicher Farbe sind also möglich, und hier lässt sich
bereits die rein theoretische Grundlage für die Entwicklung wirksamer
Roulette-Systeme erkennen. „Rein theoretisch“ bezieht sich in diesem
Falle nicht auf die mathematische Grundlage, sondern vielmehr auf die
praktische Anwendbarkeit, der nicht wegen der Spielregeln der meisten
Spielcasinos, sondern vielmehr wegen der Ungeduld und Unstetigkeit der
Spieler kein Erfolg beschieden ist. Immerhin scheint uns der
nachfolgende Aufsatz geeignet, dem Leser wertvolles Misstrauen gegenüber
den Deduktionen des sogenannten „gesunden Menschenverstandes“
einzulösen, hinter dem sich häufig genug nichts als unverdautes
Halbwissen verbirgt.
Von allen heute bekannten Glücksspielen steht nicht zuletzt die Roulette
im Mittelpunkt des Interesses, was nicht allein darauf zurückzuführen
ist, dass die Spielcasinos heute nicht mehr das Privileg einer
exklusiven Gesellschaft darstellen und seit der Wiedereröffnung nach dem
letzten Krieg auch breiteren Schichten des Volkes zugänglich geworden
sind, sondern weil dieses Spiel durch seine fast unerschöpfliche Fülle
von Kombinationsmöglichkeiten einen besonders genussreichen Zeitvertreib
bietet. Auch das Internet mit den Onlinecasinos bietet hier
unerschöpfliche Einsatzmöglichkeiten.
Seit dreihundert Jahren haben sich unzählige Berufene und Unberufene
damit beschäftigt, das Roulette-Problem zu lösen, d. h. den Beweis zu
erbringen, dass es möglich ist, auf die Dauer am Spieltisch zu gewinnen.
Über 98 % aller Spielbankbesucher sind auf die Dauer „Glücksspieler“,
die ohne Konzept nach Intuition das Tableau „vollpflastern“. Ihnen fehlt
jede Voraussetzung für ein sinnvolles Systemspiel, da ihr Spieltrieb
viel zu stark ausgeprägt ist. Man kann dies selbst in jedem Casino
beobachten. Die Anzahl derjenigen, die einsehen, dass man auf die Dauer
nur mit Systematik und Konsequenz gewinnen kann, ist verschwindend klein
und wird deshalb niemals zu einer ernsthaften Gefahr für die
Spielbanken werden. Denn 98 Glücksspieler verlieren auf die Dauer viel
mehr, als 2 Systemspieler regelmäßig gewinnen.
Die Roulette, wie wir sie heute kennen, war bereits im 18. Jahrhundert
in Europa allgemein verbreitet, allerdings bestand ein kleiner, aber
wesentlicher Unterschied gegenüber heute in der Anordnung der Nummern im
Roulettekessel: die Doppelzero. Während bis heute in den USA die
Doppelzero beibehalten wurde, schaffte Monsieur Blanc, der Besitzer des
Casinos von Bad Homburg, diesen bedeutenden Vorteil der Bank gegenüber
dem Spieler ab, als er nach der gesetzlichen Schließung der deutschen
Spielbanken im Jahre 1870 in Monaco ein Casino gründete, in dem die
Roulettekessel nur noch eine Zero aufwiesen. Über die Roulette ist eine
umfangreiche Literatur erschienen, doch nur wenige Veröffentlichungen
sind des Studiums wert. Die in französischer Sprache verfassten
Publikationen rangieren hierbei an erster Stelle. Interessant und
zugleich etwas tragikkomisch ist die Tatsache, dass es – wie die
Forschung annimmt – Fermat selbst war, der das Roulette-Problem schon
vollkommen gelöst hat, doch der große Mathematiker war mit
Veröffentlichungen sehr zurückhaltend und so finden sich auch in seinen
„Operamathematica“ keinerlei Hinweise oder Anhaltspunkte über die
Roulette. Gegen Zahlung der stattlichen Summe von hunderttausend Gulden
soll eine Finanzierungsgesellschaft Fermat bewogen haben, seine
aufgefundenen mathematischen Gesetze nicht zu veröffentlichen. Fermats
Schlüssel ist seitdem verschollen. Es heißt, Goethe, der sich auch eine
Zeit lang mit dem Roulette-Problem beschäftigt hat, habe Fermats
Aufzeichnungen in Weimar zu Gesicht bekommen und die ungeheure Bedeutung
dieses fragmentarischen Schriftstücks erkannt, dessen Veröffentlichung
den Ruin aller Spielbanken nach sich gezogen hätte. Die
Rouletteforschung hat – entgegen der allgemein verbreiteten Meinung,
dieses Spiel sei im wahrsten Sinn des Wortes unberechenbar und der
Spieler sei dem Zufall machtlos ausgeliefert – nachgewiesen, dass der
Lauf der kleinen Elfenbeinkugel zwar für den einzelnen Coup nicht
vorausbestimmbar, aber auf längere Zeit unerbittlich den Gesetzen des
Zufalls unterworfen ist; und es war Pascal, der das Wichtigste dieser
Gesetze nicht mathematisch, sondern rein auf empirischem Weg bei den
Versuchen mit der Zykloide entdeckte: – das sogenannte
Zweidrittel-Gesetz –. Es besagt, dass in einer Rotation von 37
Kugelwürfen (Coups) niemals alle 37 Nummern der Roulette erscheinen,
sondern im Durchschnitt nur 24 (zwei Drittel) durch Wiederholungen, 12
dagegen ausbleiben, d. h., dass das Volumen einer Rotation immer einen
„Defekt“ aufweist. Dieses Gesetz ist absolut und es hat noch nie eine
Roulette-Permanenz gegeben, bei der es nicht eindeutig zutage trat. Das
Gesetz des Ecarts, das Gesetz des Ausgleichs (Equilibre) und das
Figuren-Gesetz. Auf diesen Gebieten basieren fast alle ernst zu
nehmenden Spiel-Systeme.
Erst in unserem Jahrhundert hat die Rouletteforschung entscheidende
Ergebnisse hervorgebracht. Es war der Franzose Henri Chateau, der in den
zwanziger Jahren das heute noch gültige Standardwerk über die
Rouletteforschung herausbrachte. Chateau räumt darin rigoros mit allen
falschen Vorstellungen und Trugschlüssen auf, denen der Spieler mehr
oder weniger leicht erliegt. Er beweist unwiderlegbar die Wertlosigkeit
aller geometrischen Systeme und aller Arten von Progressionen, so zum
Beispiel der Martingale, der d‘Alembert, der Labouchere und vieler
anderer. Auch die Gefahren der verschiedenen so beliebten Parolis, von
denen sich der Spieler bei wenigen Coups einen großen Gewinn verspricht,
zeigt er auf. Aber Chateau weist auch Wege, auf denen der Spieler,
sofern er Ausdauer und Geduld mitbringt, der Bank überlegen ist. Immer
wieder wird die Frage gestellt:
Gibt es denn überhaupt ein sicheres Roulette-System? Die Antwort kann
mit einem klaren JA gegeben werden. Es gibt sogar mehrere ausgezeichnete
Spielmethoden. Die Skeptiker werden sofort einwenden, das könne nicht
der Fall sein, denn wenn es so wäre, hätten die Spielbanken schon lange
ihren Betrieb einstellen müssen. Dies ist theoretisch zweifellos
richtig, aber in der Praxis liegen die Dinge ganz anders. Man muss
wissen, dass weit weniger als ein Prozent aller Spielbankbesucher sich
überhaupt die Mühe macht, nach irgendeiner halbwegs vernünftigen Methode
die Einsätze auf das Tableau zu legen, um wenigstens zu versuchen, Geld
gegen die Bank zu verteidigen. Der große Rest der Spieler verliert per
Saldo und zwar erheblich mehr, als der mathematische Vorteil der Bank
ausmacht. Gewiss, viele wollen sich beim Spiel nur unterhalten und
zerstreuen, und wem Fortuna sogar unverhofft hold ist, freut sich erst
recht über einen unerwarteten Gewinn. Doch die Gewinne stehen in gar
keinem Verhältnis zu der Masse aller Spieler. Dieses Missverhältnis
müsste nicht sein, wenn die Spieler die an der Roulette wirkenden
Gesetze der Wahrscheinlichkeit, die an jeder Permanenz Coup für Coup in
Erscheinung treten, kennen würden. In den dreißiger Jahren erregten
Roulette-Systeme von Professor Sütterlein-Pfiffer nicht nur in deutschen
Fachkreisen großes Aufsehen, brachte dieser Forscher doch zum ersten
Mal vollkommen neue Prinzipien in die Roulettematerie, mit deren Hilfe
man imstande war, die Dutzende und Kolonnen durch ein rein
arithmetisches Verfahren zu erfassen. Es war ein langer Weg, den die
Rouletteforschung von den ersten mühsamen Versuchen an der Zykloide bis
zur Elektronik moderner Computer zurückgelegt hat. Dem ernsthaften
Spieler stehen diese Forschungsergebnisse heute zur Verfügung. Er sollte
sie wahrnehmen, um sich nicht dem blinden Zufall auszusetzen.